Von Alfons Zaunhuber, München (Fotos auch von Gert Spilker)
Der Ticino entspringt in den Schweizer Bergen nahe dem Nufenenpass auf über 2000 Meter Seehöhe und fließt in der Folge durch den Kanton Tessin in den Lago Maggiore. Unterwegs sammelt er das Wasser weiterer Gletscherflüsse auf und weckte schon früh Begehrlichkeiten der Energiewirtschaft. Nach gut 70 km verlässt er den zweitgrößten See Italiens und strömt südwärts dem Po entgegen. Mehrere Kraftwerke auf den ersten Kilometern machen ein Befahrung zunächst nicht lohnend, Zwischen der Ponte di Oleggio und Turbigo ist das Flussbett zwar sehr attraktiv, allerdings wird immer wieder Wasser in Kanäle abgeleitet. Die größte Wasserabnahme findet durch den Canale Naviglio Grande statt, einem historischen Wasserweg, der seit dem 12.Jh. existiert und etappenweise von Mailänder Paddlern genutzt wird. Auf Ticino und Naviglio Grande wurde seinerzeit der Marmor für den Mailänder Dom in die Stadt transportiert.
Spritzige Durchfahrt nahe des Ponte di Buffalora |
Bei Sesta Calende verlässt der Ticino den Lago Maggiore nach Süden. Während der Oberlauf komplett auf Schweizer Staatsgebiet verläuft ist der Ticino Inferiore nun ein Italiener. Wegen zahlreicher, teilweise schwer zu umtragender Wehre, fehlender Strömung und wenig reizvoller Flussufer trifft man hier kaum Paddler an. Dieser Abschnitt ist auch keine Empfehlung meinerseits.und dient nur als Information. Ab der Brücke bei Oleggio, nur einen Steinwurf vom Mailländer Flughafen Malpensa entfernt, ist bei einem ausreichenden Wasserstand ein Fahrtbeginn möglich. Allerdings lässt sich das an der Brücke kaum verlässlich abschätzen da etwas unterhalb Wasser abgeleitet wird und zum Teil erst kurz vor Turbigo wieder den Hauptarm eingespeist wird. Bei unserer ersten Fahrt präsentierte sich der Fluss zunächst traumhaft schön, doch bald darauf standen wir am Steindamm Castano Primo, nach sieben Kilometer Fahrt, vor einem trockenen Flussbett. Nahezu das ganze Wasser wurde in den Naviglio Langosco in südwestlicher Richtung abgeleitet. Was tun? Wir bogen in den Kanal ein und erreichten nach einigen Minuten einen Querbau. Rechts floss das meiste Wasser in einem kanalartigen kehrwasserlosen Bett weiter. Links schien ein schmales und wasserarmes Flussbett wieder zum Hauptfluss zurück zu führen. Zumindest war hier ein gefahrloses Paddeln mit unseren üppig beladenen Booten möglich und so erreichten wir mit etwas Mühe knapp oberhalb der Ponte sul Ticino wieder den Hauptarm der (vermutlich durch Wasserrückführung aus dem Naviglio Grande über den Canale Scarticatore oder Canale Turbighetto ) wieder ausreichend Wasser führte. Auf Google Maps sind die diversen Kanäle gut zu sehen, eine zuverlässige Einschätzung der Wasserführung ist hier somit auf diesem Abschnitt Glückssache.
Bei unserer letzten Fahrt, Anfang Oktober, war eine Fahrt auf dem Ticino auch erst ab der Brücke bei Turbigo möglich.
Am Campingplatz Playa di Valverde, wenige Meter flussabwärts der Straßenbrücke, treffe ich wie verabredet meinen Freiburger Paddelfreund Gert samt Sohn Paul. Gert Spilker kennt den Fluss ebenfalls schon lange und hat bereits Kanuführer über die Regionen Tessin und Piemont geschrieben.
Auf wunderschönen Etappen des Ticino wird der Paddelurlaub mit Papa zum Abenteuer. |
Zunächst wartet eine zeitraubende Autofahrt auf uns um ein Fahrzeug am Zielpunkt unserer Zweitagesfahrt an einem Hafen unterhalb von Vigévano abzustellen. Dann sitzen wir endlich im Boot. Die spritzige Schwallstrecke unterhalb der Brücke ist ein Auftakt der Gerts Sohn Paul sogleich in Stimmung versetzt. Ein Steinwurfwehr nach drei Kilometern im linken Flussarm scheint entschärft und bildet sanfte Wellen, der rechte Arm ist völlig harmlos. Nach einigen weiteren Kilometern in einem breiten Flussbett passieren wir zwei Restaurants, die linkerhand fast unsichtbar nur wenige Meter abseits am Fluss liegen. Immer wieder sucht sich der Ticino seinen Weg zwischen großflächigen Kiesbänken und Flussinseln. Nach sieben Kilometern Fahrt erreichen wir die Autobahnbrücke der A 4 Mailand-Turin. Gleich darauf folgt eine Eisenbahnbrücke. An der Brücke der SS 11, Ponte di Buffalora, etwas später, halten wir uns ganz rechts, da es linkerhand an einem unbefahrbaren Wehr gewaltig rauscht. Dann landen wir an einem Steindamm zur Besichtigung an. In unserem Fall erweist sich die verblockte schmale Durchfahrt im rechten Teil des Damms als eine gut zu meisternde sportliche Herausforderung. Ansonsten kann man diese Stelle auf kurzem Weg links umtragen. Der daraufhin folgende wunderschöne Nebenarm ist selbst bei diesem niedrigen Wasserstand problemlos befahrbar und mündet einen Kilometer danach wieder in den Hauptarm ein. Auf den nächsten sechzehn Kilometern bis Vigévano können wir uns entspannen und die herrliche Flusslandschaft in vollen Zügen genießen. Immer wieder gleiten unsere Boote an einfachen verlassenen Strandhütten oder Holzverschlägen vorbei, die Anglern oder Goldwäschern als Übernachtungsplatz dienen. Dem kurzen Spätherbsttag geschuldet, beginnen wir rechtzeitig mit der Suche nach einem perfekten Nachtlager. Erst nach mehreren Anläufen findet ein Platz gemeinsame Zustimmung. Während Gert und ich die Zelte aufbauen verschickt Paul
WhatsApp-Nachrichten an Mama und seine Kumpels denen er stolz von unseren Abenteuern berichtet. In der italienischen Provinz ist die Netzabdeckung hervorragend. Wir genießen die letzte Spätnachmittagssonne, bereiten unsere Mahlzeit zu, sammeln Feuerholz und erkunden die nähere Umgebung. Vereinzelt beobachten wir Flugzeuge im Landeanflug auf den Großflughafen Mailand-Malpensa. Später hüllt uns herbstlicher Dunst ein, ein normales Wetterphänomen um diese Jahreszeit in der Poebene. Sterne gucken fällt heute leider aus! Dafür belästigen uns aber auch keine Steckmücken wie in den Sommermonaten. Diese finden in den nahen Waldgebieten, aber vor allem in den Reisanbaugebieten der Lomellina, ein unerschöpfliches Brutgebiet. Bei meiner letzten Fahrt im Mai, so erinnere ich mich, war die Nacht bestimmt vom schluchzenden Gesang der Nachtigallen. Ein Erlebnis das man garantiert so schnell nicht vergisst.
"Wir reiten noch ein wenig die Wellen ab, |
Langsam kriechen wir am Morgen aus den Federn. Paul wirkt noch etwas schlaftrunken, aber der Kaffee dampft schon. Rechtzeitig durchbricht die Sonne den Morgendunst und so lenken wir unsere Kajaks bald darauf wieder flussabwärts. Wir umschiffen riesige Baumleichen die mitten in der Strömung liegen. Erstaunt registrieren wir, wie hoch die Strömungsgeschwindigkeit hier doch ist. Nicht nur Kanuanfänger sollten bei Schwemmholz-Ansammlungen, vor allem mitten in der Hauptströmung, unbedingt respektvoll Abstand halten und frühzeitig ausweichen. Wer hier hinein gerät hat ein echtes Problem. An die Steinbogenbrücke der SP 494, nahe Vigévano, fahren wir mit Vorsicht heran. Die Geräuschkulisse verheißt nichts Gutes. Doch nach der Besichtigung am linken Ufer entscheiden wir uns für die Durchfahrt. Kein großes Problem bei Niedrigwasser, wenn man eine saubere Linie fahren kann. Bei hoher Wasserführung ist generell eine Umtragung oder Treideln am rechten Ufer die einfachste Lösung. Wir reiten noch ein wenig die Wellen ab weil Paul nicht genug davon bekommt. Wenige Meter danach unterqueren wir vorsichtig die bereits seit einigen Jahren im Bau befindliche neue Straßenbrücke. Man weiß ja nie was da runterfällt.
Die uralte lombardische Stadt Vigévano, nahe dem rechten Flussufer, verdient fast zwingend einen späteren Besuch. 218 v.Chr soll Hannibal hier die berühmte Schlacht am Ticino ausgefochten haben. Vigévano ist ein Zentrum der Schuhmacherei und insbesonder die langgezogene Piazza Ducale, einer der schönsten Plätze in Italien, ist ein echter Höhepunkt. Südlich von Vigévano liegt mit der Lomellina das größte zusammenhängende Reisanbaugebiet Europas. Gleich nach der Brückenbaustelle treffen wir auf Goldwäscher. Möglicherweise entgeht uns da ein lukrativer Zusatzverdienst? Nach zwei weiteren wunderschönen Flusskurven haben wir schließlich unser Ziel erreicht, da Paul bereits am Folgetag wieder zum Schulunterricht erwartet wird. Rechterhand schwenken wir in den kleinen Hafen ein, an dem wir unser zweites Auto geparkt haben.
Wenn der Vater paddelt, kann der Sprößling entspannt die Füße hochlegen. |
Generell empfiehlt sich aber eine Weiterfahrt bis nach Pavia. Auf dieser wunderschönen Strecke warten keinerlei Hindernisse mehr. Bis zur Pontonbrücke bei Bereguardo ist das Flussbett breit und der Fluss sucht sich, wie schon zuvor, seinen Weg zwischen großflächigen Kiesbettablagerungen. Auch hier: Keine Straße berührt den Fluss und kein Wehr stört das Fortkommen. Die Pontonbrücke der SP 185 ist ganz rechts problemlos zu unterqueren. Zu beiden Seiten der Brücke gibt es Parkplätze und Bars. Rechterhand liegt ein großes Erlebnisbad mit den häufig üblichen Wasserrutschen. Zum ersten Mal erlebt man hier etwas Rummel am Fluss (vor allem an Wochenenden und in der Hauptsaison).
Auf der letzten Etappe präsentiert sich der Ticino nahezu strömungslos. Zahlreiche Paddler und Ruderer vom Kanuclub Pavia befahren diese Strecke in beide Richtungen. Einige Flussschleifen mit weiteren Kiesbänken, Badestränden und einzelnen Waldbeständen sind hier noch zu erwähnen. An die Schönheiten des oberen Flussabschnittes kommt diese Strecke aber nicht mehr heran. Der Campingplatz Ticino in einem Vorort von Pavia, in der Via Mascherpa, war bei unserer vorhergehenden Fahrt das Ziel. Hier hatten wir seinerzeit ein Fahrzeug deponiert. Paddler, die nur mit einem Fahrzeug unterwegs sind, könnten sich möglicherweise von hier aus mit dem Taxi zum Einstieg fahren lassen, obwohl das sicher nicht ganz preiswert ist. Eine weitere Ausstiegsmöglichkeit befindet sich etwas unterhalb der gedeckten Backsteinbrücke „Ponte Coperto“ am linken Flussufer. Eine Besichtigung der traditionsreichen Altstadt von Pavia und der mächtigen Certosa die Pavia (10 km außerhalb), einem Kartäuserkloster von 1396 mit der Grabkirsche der Visconti-Herrscherfamilie, ist jedem kulturell interessierten Besucher anzuraten.
Der ganzjährig befahrbare Ticino gilt als einer der Flussgötter Italien. Insbesondere die Strecke zwischen Turbigo und Pavia ist bei deutschen und italienischen Kanuten sehr beliebt. Der kraftwerksregulierte Gletscherflus beansprucht eine breite Talaue. Unterwegs wird Wasser vor allem in den Naviglio Grande abgeleitet. Die Wassermenge reicht dennoch bis in den späten Herbst hinein. Der Fluss beeindruckt vor allem durch sein unreguliertes Flussbett und seine Abgeschiedenheit.
Charakter: Leichter Wildfluss WW I-II, bei Hochwasser ist eine Befahrung hier zwingend zu unterlassen.
Gefahren: Neben den Wehren sind Baumleichen die größte Gefahr, da diese nicht nur sichtbar in Außenkurven eine Behinderung darstellen, sondern oft nahezu unsichtbar mitten im Stromzug liegen. Bei niedrigen Wassertemperaturen und dem breiten Flussbett drohen dann gefährliche Schwimmaktionen. Kälteschutzbekleidung, Schwimmweste, Ersatzbekleidung- und -paddel sind hier noch wichtiger als auf anderen Gewässern. Da der Fluss überwiegend abseits von Verkehrswegen fließt ist bei einem Unfall ein Fahrtabbruch nicht überall möglich und fremde Hilfe weit entfernt.
Beste Zeit: April/Mai und September/Oktober. Wegen der sommerlichen Hitze und unangenehmer Stechmücken ist eine Fahrt im Juli und August weniger zu empfehlen.
Etappen:
Auskunft:
Infos und Links/Flusskarte/Pegel:
Kanuvermietung/Rafting: Aqqua Canoa&Rafting in Vigevano, Tel. +39 0381 386255, www.aqqua.eu
Übernachten:
Neben diesen beiden Plätzen am Start- und Zielpunkt ist freies Campen gut möglich. Seine gesamten Müll mitzunehmen sollte für jeden umweltbewussten Paddler selbstverständlich sein.
Sehenswertes: Ticino Naturparkzentrum (naturkundliche Führungen), Vigévano (Altstadt, Dom), Pavia (Castello Visconteo, Kloster Certosa di Pavia, Kirche San Michele, Ponte Coperto).
Alternativen: 42 Kilometer langer Radweg von Pavia über Beregurdo und San Siro nach Vigévano auf Nebenstrecken, Wanderwege und geführte Exkursionen im Naturpark, Badestrände am Fluss.
Buchtipp:
In den Tourenberichten stellen wir unabhängig von einem aktuellen Bezug besonders schöne oder abwechslungsreiche Paddelstrecken aus Deutschland vor. Die dort beschreibenenen Bedingungen, Befahrungsregeln, Zugangsmöglichkeiten etc. können unter Umständen nicht mehr den aktuellen Bedingungen vor Ort entsprechen!
Bitte plant jede Tour Gewässer vor Fahrtantritt sorgfältig!
Zunächst wird dabei das Paddelrevier ausgewählt. Dort muss es für alle Mitfahrer Gewässer und Abschnitte geben, die in ihrem Können entsprechen. Bei der näheren Planung wählt man dann ein bestimmtes Gewässer und dort einen genauen Abschnitt aus, sucht sich die passenden Ein- und Ausstiegspunkte und informiert sich über aktuelle Befahrungsregelungen, das Wetter, die Pegelstände (z.B.: Wildwasser), die Gezeitenverläufe (z.B.: Nordsee) und eventuelle Gefahren (z.B.: Wehre).
Wichtig ist es dann vor Ort vorm eigentlichen Fahrtbeginn zu überprüfen, ob die Planungen im Vorfeld mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmen und eine Fahrt problemlos begonnen werden kann. Sollte dies nicht der Fall sein müssen eventuell noch Änderungen vorgenommen werden oder sogar die Fahrt abgesagt werden. Bei der Planung sollten unbedingt auch Fragen der Nachhaltigkeit geklärt werden.
Online-Übersicht der Befahrungsregelungen:
In allen Bundensländern gelten an einigen Flüssen, Bächen und Seen sowie an der Küste bestimmte Einschränkungen (BV = Befahrungsverbot, UV = Uferbetretungsverbot) für Paddler. Sie sollen das Gewässer sowie die Pflanzen und Tiere in ihnen oder in der Umgebung schützen. Befahrungsregeln dienen bei größeren Wasserstraßen auch zur Erhöhung der Sicherheit aller Wassersportler.
WICHTIG: Der Deutsche Kanu-Verband weist aufgrund zahlreicher Kanuunfälle eindringlich alle Paddler :innen auf die Notwendigkeit von Schwimmwesten hin.
Weitere Infos: www.kanu.de
KANU SPORT 3/2022 |